Narwal
Monodon monoceros
Monodontidae, Cetartiodactyla
Narwhale
Text: Julia Bauder
Schon der wissenschaftliche Name des Narwals für den „Wal mit einem Zahn“ – Monodon – und „Wal mit einem Horn“ - monoceros, der im Jahre 1758 von Linnaeus vergeben wurde, weist unmissverständlich auf das auffälligste Merkmal dieser Walart hin: der bis zu 3 m lange, spiralig gedrehte Stoßzahn.
Aus den 8 Paar embryonal angelegten Dentalpapillen, aus denen sich üblicherweise im Verlauf der Ontogenese die Zähne bilden, bleiben nur zwei Paar bestehen. Die zwei vorderen Zähne beginnen sich zu verlängern, während die anderen beiden Zähne nicht zur Entwicklung gelangen und rudimentär verbleiben. Bei männlichen Tieren wächst der linke verlängerte Eckzahn zum gedrehten Stoßzahn heran. Der wachsende linke Stoßzahn durchdringt den Kieferknochen und die Haut des Rostrums, während der rechte verlängerte Zahn im Schädel verbleibt. Bei weiblichen Tieren bleiben die beiden verlängerten Zähne im Schädel verborgen – sie tragen daher üblicherweise keinen Stoßzahn (Heide-Jørgensen, 2009).
Der längste Stoßzahn, der je gemessen wurde, war 267 cm lang. Über die Funktion des Stoßzahns gibt es bis heute nur Mutmaßungen: Möglicherweise ist der Stoßzahn ein sekundäres Geschlechtsmerkmal, das in der Etablierung einer Hierarchie unter männlichen Narwale eine Rolle spielt und als sexuell selektiertes Signal in Kommentkämpfen eingesetzt wird (Heide-Jørgensen, 2009, Graham et al. 2020). Da der Stoßzahn über seine gesamte Länge sowohl mit Zahnnerven als auch Dentinkanälchen, über die das Meerwasser mit freien Nervenendigungen in Kontakt kommen kann, ausgestattet ist, werden dem Stoßzahn ebenso zahlreiche sensorische Funktionen zugeschrieben. Dazu könnten die Wahrnehmung von Ionengradienten im Wasser, Druckveränderungen während des Abtauchens in die Tiefe oder Veränderungen der Lufttemperatur oder – bewegungen zählen. Die Detektion von Änderungen in der Salzkonzentration des Meerwassers könnte es den Narwalen ermöglichen, die Entstehung von neuen Eisschollen aus größerer Entfernung zu erkennen und damit zugefrorene Atemlöcher rechtzeitig zu vermeiden (Nweeia et al., 2009).
Die Färbung der Narwale ändert sich im Laufe ihres Lebens. Die Kälber sind in ihren ersten beiden Lebensjahren gleichmäßig grau oder dunkelbraun gefärbt. Mit zunehmenden Alter zeigen sich immer mehr weiße Flecken auf der Haut - dadurch entsteht eine grauweiße Marmorierung auf der Oberseite des Körpers, die auf der Unterseite ausgedehnter ist. Ältere, erwachsene Männchen besitzen einen fast komplett weiß gefärbten Körper und behalten nur ein schmales, dunkel geflecktes Band am Rücken. Im Gegensatz zu anderen Walen weisen Narwale eine konkave Schwanzflosse auf. Die Rückenflosse fehlt und wird durch eine niedrige Leiste ersetzt (Heide-Jørgensen, 2009).
Kälber sind bei ihrer Geburt 160 cm lang, erwachsene Tiere erreichen eine Körperlänge von 400 cm und ein Gewicht von 1000 kg (Weibchen) bzw. von 450 cm und 1600 kg (Männchen) (Heide-Jørgensen, 2009). Weibliche Narwale erreichen mit 6–7 Jahren die Geschlechtsreife, männliche Tiere etwas später mit 9 Jahren. Sie können schätzungsweise bis zu 115 Jahre alt werden (Garde et al., 2007).
Verbreitung und Gefährdung
Narwale kommen hauptsächlich im atlantischen Bereich des arktischen Ozeans vor und halten sich bevorzugt in tiefen Gewässern auf, die in den Wintermonaten von Packeis bedeckt sind. Sie folgen festgelegten Migrationsrouten auf ihren jährlichen Wanderungen. Den Winter verbringen sie am Rande des von Packeis bedeckten Kontinentalschelfs, wo die Gewässertiefe rasch von 1000 auf 2000 m steigt (Heide-Jørgensen, 2009). Zu dieser Jahreszeit kann es vorkommen, dass große Schulen zwischen rasch gefrierenden Packeis während einer intensiven Kälteperiode eingeschlossen werden und ersticken, da sie zum Atmen nicht mehr an die Wasseroberfläche gelangen können. Ein solches Ereignis, oder auch „sassat“, wird von Inuit-Jägern zur Jagd auf Narwale genutzt (Siegstad & Heide-Jørgensen, 1994). Bevor das Packeis im Frühjahr schmilzt, ziehen die Narwale durch schmale Kanäle mit freiem Wasser nach Norden, bringen während ihrer Wanderung Kälber zur Welt und verbringen dann den Sommer in größeren Gruppen in flacheren Gewässern in der Nähe von Buchten und Fjorden (Heide-Jørgensen, 2009).
Die weltweite Narwalpopulation besteht aus 12 Subpopulationen, die sich im Grad ihrer genetischen Differenzierung und geographischen Isolierung unterscheiden und die von der nördlichen Hudson Bay (Kanada) über Nordost- und Ostgrönland bis Spitzbergen (Norwegen) verbreitet sind. Die Individuenanzahl der gesamten Population wird auf 170 000 Tiere geschätzt (Lowry et al., 2017). Narwale waren aufgrund ihrer versteckten Lebensweise nie Ziel des kommerziellen Walfangs. Die Inuit Grönlands und Kanadas bejagen Narwale aufgrund ihrer wertvollen Stoßzähne und Haut, die dort als Delikatesse gilt (Heide-Jørgensen, 2009). Der Narwal wird aktuell als nicht gefährdet eingestuft (Lowry et al., 2017).
Ökologie
Analysen des Mageninhalts lassen Rückschlüsse auf das Freßverhalten und das Beutespektrum von Narwalen zu. Während des Sommers scheinen Narwale wenig Nahrung zu sich zu nehmen, wenige Überbleibsel einer geringen Freßaktivität beinhalten Kabeljau (Arctogadus glacialis, Gadidae), Polardorsch (Boreogadus saida, Gadidae) und den Tintenfisch Gonatus fabricii (Gonatidae). Der Hauptbestandteil der Nahrung während des Winters ist der besonders fett- und energiereiche Schwarze Heilbutt (Reinhardtius hippoglossoides, Pleuronectidae).
Zu den natürlichen Feinden des Narwals zählen Killerwale (Orcinus orca) und Eisbären (Ursus maritimus). Killerwale machen während der eisfreien Sommermonate, in denen sich die Wale in größeren Gruppen in Buchten und Fjorden versammeln, Jagd auf Narwale . Im Frühling und Winter hingegen stellen hauptsächlich Eisbären den Narwalen nach. Die Eisbären nutzen dazu das Packeis als Plattform, um die Wale aus dem Wasser zu ziehen (Heide-Jørgensen, 2009).
Verhalten
Narwale wandern zumeist in Gruppen von 5–10 Tieren. Manchmal kann man größere Gruppen beobachten, die gemeinsam in eine Richtung schwimmen. Diese bestehen meist aus mehreren kleineren Gruppen, getrennt in adulte Männchen und Weibchen mit Kälbern, die eventuell von subadulten Männchen begleitet werden. Adulte Männchen sind durchaus auch einzeln zu beobachten.
Das Tauchverhalten der Narwale ändert sich saisonal. Im Sommer, den sie in flacheren Küstengewässern verbringen, tauchen die Wale selten unter 500 m Tiefe. In ihren Überwinterungsgebieten tauchen sie jedoch bis zu 25 Mal pro Tag unter 800 m, um dort auf Beutefang zu gehen. Sie zählen mit einer gemessenen Maximaltiefe von 1864 m zu den Rekordhaltern im Tieftauchen (Heide-Jørgensen, 2009).
References
Garde, E., Heide-Jørgensen, M. P., Hansen, S. H., Nachman, G. & Forchhammer, M. C. (2007) Age specific growth and remarkable longevity in narwhals (Monodon monoceros) from West Greenland as estimated by aspartic acid racemization. J. Mammal. 88: 49 – 58.
Graham, Z. A., Garde, E. Heide-Jørgensen, M. P. & Palaoro A. V. (2020) The longer the better: evidence that narwhal tusks are sexually selected. Biology Letters 16: 20190950. dx.doi.org/10.1098/rsbl.2019.0950
Heide-Jørgensen, M. P. Narwhal, Monodon monoceros. In: Wursig, B., Perrin, W. & Thewissen, J. G. M. (2009) Encyclopedia of Marine Mammals. Second Edition, p. 754 - 758.
Lowry, L., Laidre, K. & Reeves, R. (2017) Monodon monoceros. The IUCN Red List of Threatened Species 2017: e.T13704A50367651. dx.doi.org/10.2305/IUCN.UK.2017-3.RLTS.T13704A50367651.en. Accessed on 01 March 2022.
Nweeia, M. T., Eichmiller, F. C., Nutarak, C., Eidelman, N., Giuseppetti, A. A., Quinn, J., Mead, J. G., K’issuk, K., Hauschka, P. V., Tyler, E. M., Potter, C., Orr, J. R., Avike, R., Nielsen, P. & Angnatsiak, D. Considerations of Anatomy, Morphology, Evolution, and Function for Narwhal Dentition. In: Krupnik, I., Lang, M. A. & Miller, S. E. (2009) A Selection from Smithsonian at the Poles. Contributions to International Polar Year Science, pp. 223 - 240.
Siegstad, H. & Heide-Jørgensen, M. P. (1994). Ice entrapments of narwhals (Monodon monoceros) and white whales (Delphinapterus leucas) in Greenland. Meddr. Grønland Biosci. 39: 151 – 160.